24.10.2020 Michael Disqué, Andrea Ruhland: Zeitung „Archiv für aktuelles Nichts“

Zeitung „Archiv für aktuelles Nichts“ von Andrea Ruhland, Michael Disqué und Unbekannt

Vorzugsausgabe: Zeitung + signierter Originalprint (20,5 x 27,5 cm, Edition 5) für 80€

Motiv aussuchen unter: Archiv für aktuelles Nichts, hier auf der Webseite und bestellen unter: info@kleiner-raum-fuer-aktuelles-nichts.

Darüber hinaus freuen wir uns über eine Zusammenarbeit mit der Bahnhofsmission am Ostbahnhof in Berlin. Die Zeitung kann daher gegen eine Spende bei ZeitungsverkäuferInnen in U- und S-Bahnen in Berlin erworben werden.

 

Ein Datum und ein Ort:

Abgerissene Plakate, derangierte Wäscheständer, abgestellte To-Go-Becher, Plastiktüten in einem Baumloch, Michael Disqué sieht Dinge auf der Straße, die der Zufall dort arrangiert hat. Manchmal stehen sie solitär in der Gegend rum oder liegen auf dem Boden, manchmal rotten sie sich zu Haufen zusammen und ergeben eine kleine Sperrmüllgemeinschaft. Es sind Farbspuren darunter und zerfetze Tierkadaver. Oft ist nur ein Objekt auf einem Foto dokumentiert, doch einige Objekte werden regelrecht umkreist und abgetastet, in dem sie aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen werden.
Fotografisch werden sie festgehalten und auf diese Weise zu Fundstücken – zu gefundenen Objekten. Das Ergebnis sind Fotografien, deren Inhalt sich an der Grenze zum Nichts bewegt.

Disqué hält auf seinen Fotografien ephemere Konstellation und wertlose Gegenstände fest und rettet sie damit vor dem Vergessen. Er provoziert auf diese Weise Gedanken zu Wert, Wertlosigkeit und In-Wert-Setzung, zum Einfluss des Zufalls und der Bedeutung der künstlerischen Intention, denn wenn das Kunstwerk so schwer zu identifizieren ist, ist es der Fokus, den der Künstler*in auf die Fundstücke lenkt, sowie die Entscheidung sie im Kunstkontext zu verorten, die diese zu Kunstwerken macht.

Der Entscheidung Fundstücke zu fotografieren geht die Geste des Wegwerfens und Hinterlassens voraus. Das Archiv spielt damit auch auf die heutige Überflussgesellschaft mitsamt ihrer Nach-mir-die-Sintflut-Haltung an. Aber können die Bilder wirklich ein aktives Mittel gegen das Vergessen sein, wenn sie die Objekte aus ihrem Kontext herausreißen, stillstellen und ästhetisieren?

Michael Disqué selber schreibt: „Archiv und Müll sind an sich schon miteinander verbunden. Denn alles, was aus seinem Nutzungskreislauf herausgefallen ist, steht außerhalb der Gegenwart. Damit ähneln sie Kunstwerken, die ebenfalls aus gängigen Verwertungszusammenhängen herausfallen.“

Anna-Lena Wenzel

One date and one place:

Torn down posters, deranged clothes drying racks, put down to-go cups, plastic bags in a tree hole, Michael Disqué sees the things in the street that chance has arranged. Sometimes they stand around solitarily or lie on the ground, sometimes they gather in heaps and form a small bulky waste community. There are traces of paint underneath and shredded animal corpses. Often only one object is documented on a photograph, but some objects are literally circled and scanned by taking them from different perspectives.
They are captured in photographs and in this way become findings – found objects. Some are even taken away and added to the archive as artefacts. The results are photographs whose content is on the borderline to nothingness.

Disqué captures ephemeral constellations and worthless objects in his photographs and thus saves them from oblivion. In this way, he provokes thoughts on value, worthlessness and the creation of worth, on the influence of chance and the meaning of the artistic intention, because if the work of art is so difficult to identify, it is the artist’s focus on the found objects and the decision to place them in the art context that transforms them into works of art.

The decision to capture found objects is preceded by the gesture of throwing them away and leaving them behind. The archive also alludes to today’s affluent society with its ‚the devil may care‘ attitude. But can the images really be an active means against forgetting when they tear the objects out of their context, immobilize them, and aestheticize them?

Michael Disqué himself writes: „Archive and garbage are in themselves connected. For everything that has fallen out of its cycle of use is outside the present. Thus they resemble works of art that also fall out of common utilization and commercialization“.

Anna-Lena Wenzel